Mittwoch, 23. März 2016

"Wie Rugby ohne Ball und auf Rollschuhen" | Roller Derby in Kiel

Zu den großen Kulturgütern unserer Zeit gehören neben Museen, Freizeitparks und Justin Bieber zweifelsfrei auch große Sportereignisse. Denkt an den Super Bowl, die Fußballweltmeisterschaft oder die Weltmeisterschaften im Snooker (ich liebe Snooker. Wie geil ist bitte dieser Sport?)! Zweifelsfrei weltbewegende Ereignisse mit kultureller Relevanz für jeden Einzelnen von euch. "Warum also nicht auch mal ein Artikel über Sport?", dachte ich mir. Kann eine Horde tatowierter Frauen, die sich rollschuhfahrenderweise von den Beinen prügelt nicht auch Kultur sein? Wovon ich hier rede? We're talking Roller Derby, Ladies und Gentlemen! Eine Sportart, die nur Wenige kennen und noch Weniger verstehen. Zufälligerweise fand am vergangenen Sonntag das sog. Rookie Scrimmage der Kieler Smashing Sailoretts statt, bei dem ich mir selbst ein Bild von den prügelnden Mädchen auf Rollschuhen machen konnte. Da meine Freundin ebenfalls zu dieser gewaltbereiten Girlgang gehört und mich gebeten hat mitzukommen (Widerworte sind zwecklos), dachte ich mir "Mach das beste draus und verwurste das Ganze zu einem Artikel".

Nach einem glücklicherweise nicht allzu zerstörerischem Wochenende, stehen wir um Punkt 11 Uhr in einer der zwei Sporthallen, die die Smashing Sailorettes für ihre subkulturellen Umtriebe nutzen dürfen. Erstmal "Hallo" sagen. Auf dem Boden hocken ein paar Gestalten und kleben den "Track" - das Spielfeld - mithilfe von gelbem Absperrband und einem langen, dünnen Seil auf den Hallenboden. "Ganz schön DIY", denke ich. "Kann man das nicht kleben lassen? Muss man das immer wieder neu aufkleben?" Später erklärt man mir, dass in der Halle noch andere Rollsportarten betrieben werden und insbesondere die "Glitzermädchen" es uncool finden, wenn der Track in der Mitte der Halle kleben bleibt. Die Glitzermädchen, das sind die Girls, die in Tütüs und anderen weniger coolen Klamotten sowas wie Eiskunstlaufen auf Rollschuhen betreiben. Klingt sofort unsympatisch. Ich stelle mir vor wie im Youth-Wars-Style aufeinanderlosgegangen wird. "Heute sind die Glitzergirls fällig"! Glitzer mischt sich mit warmem Blut auf dem Asphalt.

Gedrängel
Ich reiße mich von dem Gedanken los und beobachte wie langsam immer mehr Menschen eintrudeln. Die heutige Veranstaltung ist soetwas wie ein Testspiel für Neuzugänge des Vereins und Spieler*innen aus der ganzen Republik. Wer zufälligerweise in Kiel ist und sich Rookie (Anglizismen ftw!) schimpft, darf mitmachen. Während man sich für das Match aufwärmt, lass ich mich dazu überreden mir die nach Schweiß stinkende Leihausrüstung anzuziehen, welche natürlich gaaaanz zufällig hier herumliegt und ein paar Runden zu drehen. Frau Low kriegt Herzchenaugen. "Na gut, dafür lohnt sich die öffentliche Demütigung", denke ich und lasse mir bereitwillig Beschleunigungs-, Brems- und Falltechniken erklären. Natürlich habe ich vorher YouTube leergeschaut und versuche mit meinem Halbwissen zu prahlen. Anschließend beeindrucke ich mit extrem lässiger Körperhaltung und abgefahrenen Moves. Sicheres Auftreten bei vollkommener Ahnungslosigkeit - wäre ich ein Superheld, wäre das mein Signature-Move.

Die Spieler*innen sind mittlerweile warm und haben Bock. Es spielt Team Schwarz gegen Team Weiß. Aber worum geht's jetzt eigentlich? Auf dem Track stellen sich die jeweils 4 Blocker*innen beider Teams auf. Dahinter stehen die beiden Jammer*innen. Ihre Aufgabe ist es sich durch die Reihen der gegnerischen Blocker*innen zu prügeln, die wiederum dazu angehalten sind alles umzunieten, was sich an ihnen vorbeidrängeln will. Ich muss an Quidditch denken. Ist es der Jammer*in gelungen die Klatscher*innen hinter sich zu lassen, gibt diese ordentlich Hackengas und fährt eine Runde um den Track. Im besten Fall werden jetzt die gegnerischen Blocker*innen noch einmal umgeboxt. Pro überholtem Gegner gibt's ab der zweiten Runde nämlich einen Punkt. Im Großen und Ganzen war's das auch schon. Für mich sieht das ganze aus wie Rugby ohne Ball und auf Rollschuhen. Obwohl es sich um Anfänger*innen handelt, kriegen einige Spieler*innen auch ordentlich auf die Fresse. Im Sekundentakt maulen sich die Mädels ab, stehen wieder auf und fahren sich erneut gegenseitig über den Haufen. Ein astreiner Popcorn-Cola-Sport. Feinstes Low-Life-Entertainment. Kein Wunder, dass Roller Derby in den USA ne große Nummer ist und dort zwischen Nascar und Snowboarden sogar auf ESPN ausgestrahlt wird. Ich wünsche mir einen dieser riesigen Fingerhandschuhe. Gleichzeitig unterdrücke ich den Reflex Dinge wie "zieh!" oder "den musst du machen!" zu brüllen.

"Pow!"
Ziemlich genau 60 Minuten dauert die Rangelei, dann ist alles vorbei. Team Schwarz gewinnt mit um die 200 Punkte zu 150 oder so. Verdient. Behaupte ich einfach mal. Ich hab ja keine Ahnung. Ist eigentlich auch egal - geht ja heute um nix.

Während die Verantwortlichen abbauen, rolle ich mit Frau Low in den Sonnenuntergang.


Fazit: Als Zuschauer ist Roller Derby durchaus eine unterhaltsame Sache. Mädchen, Gewalt, Schweißgeruch - ich könnte mir einen schlimmeren Sonntagnachmittag vorstellen. Für's nächste Mal brauche ich dringend diesen Schaumstofffinger, ne Portion Popcorn und Dosenbier. Das Spielen überlass ich aber lieber den Profis.

Unterhaltungsfaktor: 6,5/10
Kategorie: Low Life
Eintritt: nix

Anmerkung: alle Fotos stammen von facebook.com/RollerderbyKiel

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